Hausrinder | Rinder-Wahnsinn

Anbindehaltung von Rindern

Außer in der Biohaltung dürfen in Deutschland Rinder ab einem Alter von sechs Monaten angebunden gehalten werden. Ein kleines bisschen Freiheit steht aber auch diesen bedauernswerten Tieren von Rechts wegen zu.

Besonders grausam ist das Anbinden von lebhaften Kälbern. Foto: © Ursula Bauer

In der besonders tierfeindlichen Anbindehaltung, die hauptsächlich Milchkühe betrifft, stehen die Tiere auf festen Plätzen dicht nebeneinander. Durch Ketten, Gitter, Halsrahmen oder Gurte fixiert, können sie sich kaum bewegen.

Arttypische Verhaltensweisen können nicht ausgelebt werden

Natürlicherweise verbringen Rinder einen Großteil des Tages mit Grasen, wobei sie sich langsam fortbewegen. Sie können aber auch rennen und sogar mit einer Geschwindigkeit von bis zu 40 km/h galoppieren. Vor allem die Kälber sind sehr verspielt und tollen gerne herum. Mit ein bisschen Übung ist auch das Springen über kleine Hindernisse möglich, und manche Menschen reiten auf ihrer Kuh wie auf einem Pony. In der Anbindehaltung sind die Tiere jedoch zum Stillstehen verdammt. Oft können sie sich nicht einmal am Hinterteil lecken oder kratzen. Aufgrund des Bewegungsmangels werden sie oft krank und leiden unter Schmerzen.

Täglich 7-12 Stunden werden zum Ausruhen und Wiederkäuen genutzt. Die Ketten und Riemen am Hals erschweren das Hinlegen oder Aufstehen, und ein ungestörtes Liegen in der arttypischen Ruhe- und Schlaflage ist aufgrund der Enge meist nicht möglich.

Isolation

Als sehr soziale Herdentiere, die normalerweise ständig miteinander interagieren, können angebundene Rinder weder eine Gruppe bilden noch Sozialstrukturen aufbauen. Der Kontakt zu den Leidensgenossen im Stall ist auf die unmittelbaren Nachbarn beschränkt. Auch weitere, natürlicherweise im Gruppenverband vollzogene Lebensvorgänge wie Brunst, Paarung, Trächtigkeit und Geburt können in der Anbindehaltung nicht ausgelebt werden.

Eng beieinander und trotzdem isoliert. Foto: © aktion tier

Blöde Kuh?

Im Gegenteil – Rinder sind ziemlich intelligent und werden häufig unterschätzt. Außerdem können sie extrem gut riechen und haben ein wesentlich besseres Gehör als wir Menschen. Erst die ausschließliche reizarme Stallhaltung, noch dazu angebunden, lässt die neugierigen Tiere regelrecht verblöden.

Leises Durchdrehen

Wenn Rinder mehr als nur vorübergehend an einer Stelle fixiert ausharren müssen, sind Verhaltensauffälligkeiten vorprogrammiert. Meist beginnt es in jungen Jahren mit Zungenschlagen oder Harntrinken. Aus Langeweile werden auch Stangen und Ketten benagt. Mit zunehmendem Alter verwandeln sich die bewegungsfreudigen, neugierigen Tiere dann in apathische Schatten ihrer selbst, die sich scheinbar emotionslos in ihr Schicksal gefügt haben.

Nur so geht artgerechte Rinderhaltung

Rinder sind sehr soziale, gesellige Herdentiere, die ständig miteinander interagieren. Über die Körperhaltung und ein großes Repertoire an „Muh-Lauten“ können sie sich mitteilen. Eine große Rolle spielen auch die Hörner, mit denen die Tiere sich in der strengen Gruppen- Hierarchie behaupten können oder auch kleine, meist harmlose Rangkämpfe austragen. Sie können lebenslange Freundschaften bilden und bezeugen ihre Zuneigung zu Familienmitgliedern und Lieblings-Artgenossen durch inniges Ablecken.

Nur so geht artgerechte Rinderhaltung. Foto: © Ursula Bauer

Ein bisschen Freiheit

Das Verwaltungsgericht Münster hat am 3. Februar 2022 im Rahmen eines Rechtsstreites festgelegt, dass Rinder nicht das ganze Jahr über angebunden im Stall gehalten werden dürfen, da es sich hierbei um einen Verstoß gegen § 2 Nr. 1 Tierschutzgesetz handelt. Hintergrund war die Klage eines Landwirts gegen die Anordnung des Veterinäramtes, den Tieren Freilauf zu gewähren. Das Gericht gab dem Amt recht und hob hervor, dass dieses berechtigt und verpflichtet war, die Auflage zu erteilen, dass den Tieren zumindest im Sommer von Anfang Juni bis Ende September täglich freier Auslauf auf der Weide für mindestens 2 Stunden zu gewähren ist.

Bei seiner Entscheidung stützte sich das Münsteraner Gericht auf zwei Niedersächsische Tierschutzleitlinien für die Milchkuh- und Mastrinderhaltung, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und daher allgemeingültig sind – auch in anderen Bundesländern. Das Maß der Verbesserungen, nur 2 Stunden Freilauf und auch nur im Sommer, erscheint uns gering. Wir halten schon die zeitweilige Fixierung für Tierquälerei. Auf der anderen Seite wurde nun zumindest gerichtlich festgelegt, dass die ausschließliche Anbindehaltung deutschlandweit nicht zulässig ist. Die zuständigen Veterinärämter sind nach § 16a Tierschutzgesetz verpflichtet, bei Verstößen gegen das Verbot tätig zu werden, um den Tieren zu helfen.

Anbindehaltung beendet

In diesem Frühjahr hatte uns ein Mitglied die grausame Anbindehaltung von mehreren Milchkühen in einem nur spärlich beleuchteten Stall in Baden- Württemberg gemeldet. An Stahlketten kurz festgebunden mussten die Tiere tagaus tagein ihr gesamtes Leben auf ihrem kleinen Platz verbringen. Der Betonboden war ohne Einstreu, so dass die Rinder in ihren Ausscheidungen liegen mussten. Nach zwei Anzeigen beim zuständigen Veterinäramt und einer strengen Aufforderung unseres Rechtsanwaltes, endlich entsprechend dem Tierschutzgesetz tätig zu werden, teilte man uns mit, dass der Landwirt die Milchviehhaltung komplett aufgegeben hat. Unser „Whistleblower“ hat bestätigt, dass der Stall leer ist. Ob der Bauer die Maßgabe des täglichen Freilaufs nicht erfüllen konnte oder wollte, oder mit der Tierhaltung sowieso überfordert war, können wir nicht sagen.

Die Rinder lebten dauerhaft in fast völliger Dunkelheit, angebunden an kurze Stahlketten.

Ursula Bauer

Diplom-Biologin bei aktion tier – menschen für tiere e.V.